Sir Roger Norrington war dreizehn Jahre lang Chefdirigent des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart, das 2016 mit dem Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg zum SWR Symphonieorchester fusionierte. Mit dem von ihm etablierten “Stuttgart Sound” – einer Synthese zwischen historisch informierter Aufführungspraxis und den Klangmöglichkeiten eines modernen Orchesters – hat er weltweit für Aufsehen gesorgt. Ob Mozart oder Haydn, Brahms oder Beethoven, Norrington hat versucht, dem Klangideal des jeweiligen Komponisten so nahe wie möglich zu kommen. Größe und Aufstellung des Orchesters, Tempi, Phrasierung und Artikulation und der bewusste Verzicht auf Vibrato. Mit den nun hier wieder-veröffentlichten Bruckner-Sinfonien haben Norrington und das damalige RSO versucht, dem Komponisten ein “menschliches Gesicht” zu geben, nicht nur eine quasi-religiöse Abstraktion von ihm, die sich sonst oft finden lässt. Bruckners Sinfonien sind säkulare Werke, die der Komponist mit dem Wiener Musikverein im Hinterkopf komponiert hat. Sie beinhalten deskriptive Musik (Reisen, Natur, Vögel), Tanzmusik und Humor, unerwartete dramatische Passagen und Pausen. In seinem ganz individuellen Stil (von Beethoven, Schubert, Mendelssohn und Wagner geprägt, ohne aber nach einem von ihnen zu klingen) findet Bruckner sich in Gedanken an sein eigenes Violinspiel als Jugendlicher auf Dorfhochzeiten ebenso wie auf der Orgelempore von St. Florian wieder.